Mittwoch, 4. März 2015

Interview mit Frau Ai Takaoka



Ai Takaoka

geboren in Kyōto
2007 kalligraphische Performance gemeinsam mit der Band Arashi beim Sender "FujiTV"
2013 Ausstellung eigener Werke im Kaufhaus Daimaru bei Shinsaibashi in Osaka
Offizielle Website






Victor Fink: Aus welchem Teil Japans kommen Sie?

Ai Takaoka: Aus dem Norden der Präfektur Kyōto, aus Ama-no-Hashidate .  Ama-no-Hashidate ist eine der Drei Berühmten Landschaften Japans.

F: Was gefällt Ihnen an diesem Ort?

T: Es ist eine der Drei Berühmten Landschaften, die Landschaft ist also sehr schön. Wenn man von einem der Berge an der Küste herab durch die eigenen Beine hindurch das Band der Kiefernbäume auf der schmalen Halbinsel betrachtet, sieht es so aus als steige ein Drache in den Himmel auf. Das ist wunderschön.

F: Haben Sie Familie?

T: Ja, ich bin seit zwei Jahren verheiratet.

F: Was sind Ihre Hobbys?

T: Ich laufe Marathon.

F: Haben Sie auch an dem hier in Kyōto teilgenommen?

T: Ja. Ich habe fünf Mal an dem Marathon in Honolulu auf Hawaii teilgenommen, und vier Mal an Marathonläufen in Japan. Ich habe bereits an etwa 9 Läufen teilgenommen hat, da sieht man dass ich ursprünglich eher Sportlehrerin werden wollte. Aber jetzt bin ich Kalligraphin. Neben dem Marathonlaufen ist das Spielen der Koto eines meiner Hobbys. 

F: Haben Sie ein Lieblingsbuch?

T: Ich lese wirklich überhaupt keine Bücher, eher Musik. Darf es auch ein Film sein? Ich mag „Notting Hill“ mit Hugh Grand. Das Lied „She“ von Elvis Costello gefällt mir auch gut. 

F: Was wollten Sie als Kind werden?

T: Als Kind wollte ich Sportlehrerin werden, an einer Mittelschule. Der Sport macht mir viel Spaß.

F: Wie kamen Sie zum ersten Mal in Berührung mit der Kalligraphie? 

T: Meine Mutter war Kalligraphielehrerin, und ich habe ihr von der Seite beim Schreiben zugesehen. Das sah interessant aus, also wollte ich es auch lernen. Aber weil die eigenen Verwandten ja immer zu nett zu einem sind, habe ich nicht bei meiner Mutter gelernt.

F: Wurden Sie in der Grundschule zum ersten Mal in Kalligraphie unterrichtet?

T: Ich nahm Unterricht beim Lehrer meiner Mutter. 

F: Ab wann wollten Sie die Kalligraphie zu Ihrem Beruf machen?

T: Mal sehen. Ich glaube, dass ich irgendwann in meiner Unizeit auf den Gedanken kam. Ich nahm beim Lehrer meiner Mutter Unterricht seit ich sieben Jahre alt war, und hörte im dritten Jahr der High School auf. Nach meinem Eintritt in die Universität lernte ich dann bei einem anderen Lehrer. Irgendwann danach kam mir dann der Gedanke, dass ich Kalligraphin werden will.

F: Was macht die Faszination der Kalligraphie für Sie aus?

T: Ich mag es zu schreiben, das ist das wichtigste. Als Kind wollte ich schön schreiben. Und ich hatte auch das Ziel, in Wettbewerben ausgezeichnet zu werden. Damals war mein Ziel, schön zu schreiben, aber jetzt, als Erwachsene, will ich mit meinen Zeichen den Menschen etwas vermitteln. Ich will durch meine Kalligraphie die Menschen unterstützen. Darin liegt für mich die Faszination der Kalligraphie. 
Die Zeichen unterscheiden sich von Person zu Person. Genauso wie es auch ein Unterschied ist, ob man mit dem Pinsel oder dem Bleistift schreibt. Ich möchte weiter meine ganz eigenen Zeichen schreiben, die nur ich schreiben kann, und wenn diese Kalligraphien etwas vermitteln, freut mich das.

F: Was macht den Charakter Ihres Werks aus?

T: Wenn es um den Charakter meiner Werke geht, wird mir oft gesagt, sie seien kraftvoll. Powerful.
Es scheint zwar nicht so auszusehen, aber ich schreibe mit viel Kraft. Das ist mir wichtig, meine Werke sind stark, leidenschaftlich und elegant. 
Wenn ich etwas schaffe, lege ich großen Wert auf das Gefühl gegenüber dem Werk, die Leidenschaft, diese Dinge. Wahrscheinlich zeichnet mich der kraftvolle Gefühlsausdruck aus.

F: Welche Werke unter den Klassikern der Kalligraphie gefallen Ihnen?

T: Kein konkretes Werk, sondern die Linie Mi Fus gefällt mir gut. Wang Xi-Zhi finde ich unglaublich faszinierend, aber ich denke, das geht jedem so.

F: Stellen Sie Ihre Werke in Kyōto aus?

T: Ich habe dieses Jahr eine Ausstellung eigener Werke in Kyōto veranstaltet.

F: Wie waren die Reaktionen darauf?

T: Das ist nicht leicht zu sagen. Natürlich ist es in der Kalligraphie, wie überall, eine Geschmacksfrage, wem es gefällt, dem gefällt es, wem nicht, dem nicht. Aber bei meinen Ausstellungen gibt es tatsächlich Leute, die meine Werke betrachten und dann Tränen vergießen. Letztes Jahr hatte ich eine Ausstellung in Shinsaibashi in Osaka. Eine alte Frau, die drei Tage später eine OP hatte, bedankte sich bei mir als sie ging, weil meine Werke ihr Mut gemacht hätten. Das war sehr beeindruckend. Ich will mit meinen Werken nicht nur die Menschen in Japan, sondern auf der ganzen Welt unterstützen, das ist die Bedeutung meines Schaffens. Darum schreibe ich auch Texte, die nicht Japanisch sind, und möchte in verschiedenen Sprachen schreiben. 
Es freut mich, wenn mir jemand sagt, dass er durch meine Werke Kraft oder Mut erhalten hat, diese Dinge. Das ist etwas, das mir wichtig ist.

F: Glauben Sie, dass man die Kalligraphie, die ja eine ostasiatische Kunst ist, dem Westen vermitteln kann?

T: Ich glaube, dass gute Dinge angenommen werden. Die Kalligraphie ist natürlich schon Teil der östlichen Kultur, im Westen gibt es sie nicht. Vor zwei Jahren hatte ich eine Performance in Paris. Die Leute schienen großes Interesse an Kanji zu haben. Die Franzosen schienen noch mehr an den Kanji als an den Kana interessiert zu sein. Weil die Reaktion sehr positiv war, möchte ich in Paris noch einmal eine eigene Ausstellung veranstalten. Im Moment will ich ein Werk schaffen, dass die traditionelle Kalligraphie mit unserem modernen Empfinden vereint. Ich weiß allerdings nicht, was daraus werden wird. 

F: Machen Sie Performances?

T: Ja. Performances sind mir sehr wichtig.

F: Was macht Ihrer Meinung nach die Faszination der Performance aus?

T: Die Faszination der Performance im Gefühl der Körperlichkeit. Es ist Entertainment, und darum gebe ich mich nicht mit dem Schreiben allein zufrieden. Die Musik und die Zeichen, dazu performe ich stets im Kimono, man sieht, wie geschrieben wird. Die Freude an all dem zusammen, das macht meiner Meinung nach die Faszination aus. Viele meiner Zuschauer weinen. Sehr viele. (lacht)

F: Wie würden Sie Ihre Verbindung zu Kyōto beschreiben?

T: Kyōto liegt mir sehr am Herzen. Darum wohne ich hier. Mir wird oft gesagt, es wäre besser, wenn ich nach Tōkyō ginge, aber ich will in Kyōto leben und von dort in die Welt wirken.
Kyōto, das ist Tradition. Die lange Geschichte der früheren Hauptstadt und die Kalligraphie als traditionelle Kultur, auch wenn sie aus China kam, passen gut zueinander, denke ich. Kalligraphie in Kyōto, das ist für mich etwas sehr wichtiges. 
Ich glaube, es hat eine Bedeutung, in Kyōto zu kalligraphieren. Ich werde weiter in Kyōto leben und arbeiten.

F: Legen Sie bei Ihrer Kalligraphie Wert auf die Bedeutung der Zeichen?

T: Ja. In meinen Kalligraphien schreibe ich Worte, die aus meinem Herzen geboren wurden, darum sind die Worte besonders wichtig. Ich lege wirklich viel Wert auf die Dinge, die ich schreiben möchte. 
Am Allerwichtigsten beim Kalligraphieren bin ich selbst, was ich zum Ausdruck bringen will. Wenn das etwa die Liebe oder ein Traum ist, dann handelt es sich um eine Form, in der man eine Nachricht von Herzen überbringt. Das ist schwer. Wie soll man das zum Ausdruck bringen? Ich möchte beispielsweise das Zeichen für Traum in einer Ausstellung präsentieren. In diesem Fall drücke ich durch die Linie aus, ob dieser Traum von mir nun ein starker, freundlicher oder gefühlvoller Traum ist. Darauf lege ich Wert. 

F: Was macht einen guten Kalligraphen Ihrer Meinung nach aus?

T: Egal ob man nun Kalligraph oder irgendetwas anderes ist, die Persönlichkeit ist doch wichtig. Man sagt, dass sich die Persönlichkeit in der Kalligraphie spiegelt , also ist der Lebenswandel wichtig. Der spiegelt sich in den Zeichen wider.

F: Was denken Sie über die Zukunft der japanischen Kalligraphie? 

T: Ich möchte, dass sie fortbesteht, und möchte für ihren Fortbestand sorgen. Genau deswegen will ich auf verschiedene Art in die Welt  wirken, darum habe ich vielleicht diesen starken Wunsch. Vielleicht wäre es besser, wenn man mehr Anstrengungen unternimmt, die Kalligraphie in der Welt bekannt zu machen, wenn man daran denkt, für den Fortbestand der japanischen Kalligraphie zu sorgen. 
Bis vor ganz kurzer Zeit wurde der Performance nachgesagt, eine Verirrung zu sein, und sie wurde oft kaum als Kalligraphie akzeptiert. Aber ich denke, dass es gut ist, wenn sich Kalligraphie auch nur ein bisschen öffnet, und sei es in der Form der Kalligraphie-Performance. Ich denke, es gibt keine unumstößlichen Regeln. Darum möchte ich, unter Achtung der Tradition, zu einer Form, die keine Schranken hat. Ich möchte die unbegrenzten Möglichkeiten ausloten.

F: Sie unterrichten auch selbst Kalligraphie. Wie sieht ihre Lehrmethode aus?

T: In meinem Unterrichtsraum ist mir die Atmosphäre sehr wichtig, ich spiele Musik, brenne ein Räucherstäbchen ab, und lasse meine Schüler entspannen, mit allen fünf Sinnen. Und wenn ich etwas korrigiere, rege ich mich nicht etwa auf, sondern lobe meine Schüler. Wenn etwas gut ist, muss es auch gelobt werden. Kann man etwas nicht schreiben, geht es eben nicht. Wenn man etwas nicht kann, dann übt man es. Um besser zu werden ist die seelische Einstellung wichtig, selbst darüber nachzudenken und zu erkennen, wie man besser werden kann. Das ist alles. Und das ist sehr schwer für alle meine Schüler. Wenn man zum Beispiel von der Arbeit in aller Eile zur Kalligraphiestunde kommt, ist alles in Unruhe. Dabei ist es am wichtigsten, in Ruhe zu schreiben, sich der Kalligraphie zu widmen. Wenn das funktioniert, dann werden die Zeichen auch bestimmt irgendwann besser. Das sage ich immer. Wenn ich etwas nicht kann, übe ich noch mehr: diese geistige Einstellung ist wichtig. 


F: Vielen Dank für das Gespräch.

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Ama-no-Hashidate ist eine mit Kiefern bestandene Sandbank in der Miyazu-Bucht. Die Landschaft ist seit alters her für ihre szenische Schönheit berühmt. Die südliche Ansicht vom Monju-Berg aus wird als „Sicht des fliegenden Drachen“ (jp. 飛龍観) bezeichnet.
Offizielle Website
Lage von Miyazu (google maps)



Zu den „Drei Landschaften Japans“ (日本三景) gehören neben der Sandbank Ama-no-hashidate der Inselschrein Itsukushima (auch: Miyajima) in Hiroshima und die Inseln in der Bucht von Matsushima in der Präfektur Miyagi. Der Begriff wurde im 18. Jhdt., in der Edo-Zeit, geprägt, und ist auch heute im ganzen Land bekannt. Kanonisierungen nach diesem Muster („Drei Landschaften“, „Vier Meister der Heian-Zeit“ etc.) werden in Japan als „Meisū“ (名数) bezeichnet und erfreuten sich in China wie in Japan großer Beliebtheit.
Links: Ansichten von Matsushima und Itsukushima.



Der Kyōto Marathon wurde nach dem Aussetzen der Veranstaltung 1982 im Jahr 2012 zum ersten Mal wieder veranstaltet. Die Strecke führt vom Heian-Schrein bis zum Internationalen Konferenzzentrum im Norden Kyōtos.
Links: Läufer vor dem Heian-Schrein in Kyōto.


Die Koto ist eine mit Seide bespannte Zither. Sie basiert auf der chinesischen Guzheng.


Mi Fu (1051-1107), jap. Beifutsu 米芾 ( auch in Katakana)
Mi Fu war einer der bekanntesten chinesischen Kalligraphen und ein leidenschaftlicher Sammler von Kalligraphien. Mi Fu soll Werke so perfekt kopiert haben, dass eine Unterscheidung zwischen Original und Kopie praktisch unmöglich war. Das Wu Jiang Zhou Zhong Shi (呉江舟中詩巻, jap. Gokōshū-Chūshikan, s.o.) ist eine häufig zitierte Kalligraphie Mi Fus.
Die Juli-Ausgabe 2014 der „Sumi“ beschäftigte sich ausführlich mit Mi Fu und seiner Rezeption in der Gegenwart.


Wang Xi-Zhi 王羲之 jap. Lesung: Oo Gishi
303-361 n.Chr.
chinesischer Kalligraph, Gelehrter und PolitikerWang Xi-Zhi wird von vielen als der bedeutendste und einflussreichste Kalligraph aller Zeiten beschrieben. Zahlreich seiner Werke (etwa das "Vorwort zum Orchideenpavillon" (
欄亭序, s.o.) oder das "Sōranjō", die Kopie eines Briefes Wangs (喪乱帳) gelten als unsterbliche Klassiker. Die Werke dieses großen Kalligraphen sind uns leider nur durch Kopien überliefert, Originale sind nicht erhalten.



Kanji - Kana
Die Kanji, chinesische Schriftzeichen, sind die Eltern der Kana-Lautschrift, die sich aus extrem verkürzten Varianten der Konzeptschrift entwickelte. In der japanischen Kalligraphie stellen diese beiden Genres die gröbste Unterteilung dar. Die Mischform (Chōwatai) spiegelt das geschrieben Japanisch der Gegenwart wieder, in dem Kanji und Kana nebeneinander genutzt werden. Sie stellt die dritte große Kategorie dar.


Kalligraphie-Performance
bezeichnet die Inszenierung von Kalligraphie als Show. Zumeist nehmen mehrere Personen teil und schreiben auf ein Papier von mehreren Meter Länge, im Hintergrund spielt Musik, die den Rhythmus der Kalligraphie bestimmt.
Kalligraphie-Performance der Mishima High School (Präfektur Ehime) auf dem "Kōshien der Kalligraphie-Performances 2013" 
Website des "Kōshien der Kalligraphie-Performances"
(Anmerkung: Der "Kōshien" ist der wichtigste Wettbewerb im japanischen Oberschul-Baseball (High School Baseball). Diese Bezeichnung verwenden daher viele der großen Wettbewerbe für Oberschüler)


Persönlichkeit und Kalligraphie werden schon in frühen chinesischen Kalligraphie-Theorien miteinander in Verbindung gebracht. Heute ist in Japan v.a. die Formulierung „書は人なり“ gebräuchlich, deren Herkunft allerdings unklar ist.
Beitrag im Blog der Forscher am Nationalmuseum in Tōkyō, der auch die ironische Seite des Spruchs beleuchtet.


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