Sonntag, 22. Februar 2015

Interview mit Herrn Minoru Hibino

Minoru Hibino
geboren im Jahr 1960 in Kyōto
geschäftsführender Direktor des Japanischen Verbandes für Kalligraphie (日本書芸院)

Mitglied der Mizuho-Kalliraphie-Gesellschaft (水穂会)
Einer der führenden Kalligraphen im Kana-Genre
Privatdozent für Kalligraphie an verschiedenen Kyōtoer Universitäten
Gewinner des Sonderpreises (特選) der Ganzjapanischen Kunstausstellung (Nitten, 日展) in den Jahren 2000 und 2002



Victor Fink: Aus welchem Teil Japans kommen Sie?

Minoru Hibino: Ich komme aus Kyōto.

F: Wo genau aus Kyōto?

H: In der Nähe des Shimogamo-Schreins . Mein Vater wurde bei Demachi , gerade zwischen dem alten Kaiserpalast und dem Kamogawa geboren. Wir leben an dem Ort, an dem wir zur Welt kamen.

F: Was gefällt Ihnen an diesem Ort?

H: Als ich aus Tōkyō zurückkam war das, was mir am meisten das Gefühl gab wieder daheim zu sein, das Fließen des Kamogawa. Der Hieisan , über den Kamogawa hinweg betrachtet, das ist unsere, wie soll man es sagen, landschaftliche Urerfahrung, die Landschaft, die an unserer Wurzel liegt.

F: Was wollten Sie als Kind werden?

H: Ich dachte eigentlich nie daran Kalligraph zu werden. Als ich ein Kind war, war mein Vater ein Angestellter bei einer Firma. Bei dem Shōchū-brauer Hōshuzō , dort war er angestellt. Ich dachte also nie ernsthaft daran, mich mit Kalligraphie zu befassen. Im Abschlussaufsatz meiner Grundschule schrieb ich, mein Traum für die Zukunft sei Ingenieur. Geräte zu handhabe, das gefiel mir. Ich mag auch jetzt Computer und so etwas. Das gab es alles, aber aus irgendeinem Grund war ich dann in der literarischen Fakultät der Dōshisha , und habe mich so ganz von selbst von den Naturwissenschaften entfernt.

F: Wie kamen Sie zum ersten Mal mit der Kalligraphie in Kontakt?

H: Mein Großvater war Kalligraph, und so war die Kalligraphie schon im Kindergarten, als ich anfing die Dinge zu begreifen, stets in meiner Nähe. Aber ich dachte nie daran, das als Profi zu machen. In der Grundschule bin ich auch einmal mit einem Preis für Schönschrift ausgezeichnet worden.

F: Mochten Sie es zu schreiben?

H: Nicht so sehr. Sich zu konzentrieren, um eine Sache fertig zu bekommen, das braucht doch viel Energie, und es ist ja nicht so, dass man nie genug bekäme vom Schreiben. Das ist auch jetzt noch so.

F: Wer hat Sie als Kalligraphen stark beeinflusst?

H: Mein Großvater. Auch heute noch. Mein Großvater ist Gohō Hibino . Ihm war die Reinheit des Herzens am Allerwichtigsten. Sein Grundgedanke war, dass das Herz rein sein muss, man muss alle überflüssigen Gedanken aus dem eigenen Geist verbannen, und während man so übt, erreicht man eine Kalligraphie, in der der eigene Charakter hervortritt. Erst vor kurzer Zeit habe ich das endlich verstanden.

F: Denken Sie, dass Ihr eigener Stil dem Ihres Großvaters ähnelt?

H: Ein Profi sieht, dass sie völlig verschieden sind. Aber wenn man sich nicht so auskennt, kommt es einem vielleicht so vor als ähnelten sie sich.

F: Haben Sie Freunde, die auch als Kalligraphen tätig sind?

H: In der Kalligraphie lernt man normalerweise unter einem Meister, und unter den Schülern eines Meisters bilden sich dann Freundschaften. In meinem Fall ist es so, dass mein Vater Kalligraph ist, aber ich und die Schüler meines Vaters können, offen gesagt, keine Freunde werden, weil ich der Sohn des Meisters bin. Man kann doch nicht mit dem Sohn des Meisters befreundet sein.
Darum treffe und unterhalte ich mich mit Schülern anderer Meister, ich gehe zum Beispiel mit Herrn Onishi manchmal essen. Und wenn man in meinem Alter ist, dann trifft man seine Freunde aus Universitätszeiten ja kaum noch.

F: Was ist das Besondere an Ihren Werken?

H: Ich schreibe Kana-Kalligraphien , das stammt aus der Heian-Zeit. Hier in der Nähe ist der alte Kaiserpalast, und auch das Reizeike , hier an der Dōshisha. Ich führe die Kultur des Waka aus Kyōto fort. Ich wurde in Kyōto geboren und wuchs hier auf, und möchte die in Kyōto geborene Kultur, die Kalligraphie Kyōtos pflegen. 
Die Kanji-Kalligraphie hat ihre Wurzeln natürlich in China, und was ich sehe bezieht sich oft auf chinesische Vorbilder. Weil mein Genre die aus Kyōto stammende Kana-Kalligraphie ist, versuche ich mich möglichst nicht von der in Kyōto geborenen Kultur zu entfernen. 

F: Wie beziehen Sie die kalligraphische Tradition in Ihr Werk ein?

H: Es ist ja ganz nutzlos, das Alte in seinen Teilen zu sammeln und aufzureihen. Auch wenn das Alte die Regeln darstellt, muss das Werk selbst originell sein. Diese beiden Dinge zur Deckung zu bringen ist schwer. Im Moment weiß ich nur, dass das für mich etwas sehr bedeutsames ist.

F: Welcher kalligraphische Klassiker gefällt Ihnen besonders gut?

H: Das ist schwierig. Das Kōyagire , aus dem Umfeld des Heian-zeitlichen Kaiserhauses, oder das Sunshōan-shikishi , Werke dieser Art gefallen mir am besten.

F: Wie steht es mit den Kalligraphen der Gegenwart?

H: Das ist eine schwere Frage. Ich habe zwar mit den meisten bekannten Persönlichkeiten schon einmal gesprochen, aber ich weiß dann nicht, ob mir der Mensch oder seine Kalligraphie gefällt. Das mag sich komisch anhören, aber man redet doch untereinander. Die Kalligraphien von dem und dem sind schon klasse, aber eigentlich ist das ja so einer, in der Art. 
Trotzdem, eines kann ich sagen. Die klare Linie eines Kalligraphen, der sich lange geübt hat, die gefällt mir. Die klare Linie hat etwas frisches, sie ist scharf. Solche Kalligraphien mag ich. Da ist dann egal, von wem sie stammen. Die Kalligraphie ist die Kunst der Linie, und darum muss man sich vor allem anderen die Linie ansehen, ob sie eine reife Linie ist, das ist wichtiger als die Worte, die Bedeutung oder die Komposition. 

F: Spielt die Bedeutung der Worte in Ihrem Werk eine große Rolle?

H: Natürlich. Es gibt auch Leute, die sagen, dass die Worte keine Rolle spielten, nur die Linie und die Form müssten stimmen. Aber ich sehe das nicht so. Wenn ich etwa ein Gedicht von Saigyō schreibe, denke ich auch über die Bedeutung nach. Ich stelle mir vor, warum Saigyō so dachte, als er dieses Gedicht schrieb, ich versuche mich in das Gefühl hineinzuversetzen, die emotionale Landschaft zu beschreiben. Kanji-Kalligraphen können die Bedeutung dessen, was sie schreiben, nur oberflächlich erfassen, denn sie schreiben in Chinesisch. Als Kana-Kalligraph fällt es leichter, sich vorzustellen warum ein Japaner zu dem Zeitpunkt, als er dieses Gedicht verfasste, so fühlte, da der Text Japanisch ist.

F: Es ist sicher schwierig zu erreichen, dass die Zeichen die Bedeutung der Worte reflektieren.

H: Das ist sehr schwer. Man soll die Bedeutung auch nicht direkt in die Form der Zeichen übersetzen. Man darf die Zeichen für „traurig“  nicht einfach so schreiben, dass es traurig aussieht. Es ist unnötig, das Zeichen für „Kirschblüte“ in der Form einer Kirschblüte zu schreiben. Das Fallen der Kirschblüten, dieses Gefühl des Bedauerns, oder der Schnee, der auf die Blüten fällt, ein Schneefall, der nicht zur Jahreszeit passt: solche Bilder möchte ich hervorbringen.

F: Suchen Sie nach diesen Dingen in den Werken anderer Kalligraphen?

H: Unter den Kana-Kalligraphen gibt es kaum Leute, die so weit gehen. Ich möchte das aber so gut als möglich umsetzen.

F: Sie sind auch Mitglied verschiedener Jurys.

H: Ja. Wegen der Auswahl für die Nitten war ich fast den ganzen Oktober über in Tōkyō. Das war anstrengend. 

F: Worauf legen Sie Wert bei der Bewertung der Werke?

H: Es kommt nur auf den ersten Eindruck an. Ob es gut ist oder nicht entscheidet sich beim ersten Blick. Vor allem anderen muss die Linie gut sein. Wenn die Linie gut ist, dann ist es auch die Form und die Komposition. In der Kalligraphie schreibt man zwar in Schwarz, aber ihre Komposition geht über das Schwarze hinaus, Schwarz und Weiß kommen zusammen und bilden eine Kalligraphie. Darum ist auch die Schönheit der weißen Fläche bedeutsam. 
Sie verstehen nicht alles, was Sie in chinesischen oder japanischen Texten lesen, und so ist es auch bei mir, ich weiß nicht alles über die Zeichen eines Werks, aber wenn etwas auf den ersten Blick zu gedrängt wirkt, oder wiederum öde ist, dann habe ich gleich das Gefühl, dass da etwas nicht stimmt. 

F: Wie denken Sie über Kalligraphie-Performances ?

H: Da schreiben diese vielen jungen Leute alle zusammen eine Kalligraphie, nicht wahr? Die Matsuyama High School für Mädchen , eine High School in der Präfektur Saitama, ist dafür berühmt. Eine Lehrerin an dieser Schule ist eine Freundin von mir, Frau Ishihara. Sie hat sich diesen Projekten mit vollem Einsatz gewidmet. Es ist ein interessantes Experiment, Musik hineinzunehmen, und wenn es die jungen Leute freut, finde ich das gut. Aber ich denke, dass man den Vorgang des Schreibens in der Kalligraphie eigentlich nicht ausstellen sollte. 

F: Haben Sie schon einmal eine Ausstellung eigener Werke veranstaltet?

H: Daran habe ich bereits gedacht, und ich möchte das irgendwann einmal machen. Häufig ist es bei Einzelausstellungen aber so, dass die Zeichen beinahe gleich sind, alles ähnelt sich. Solche Einzelausstellungen gibt es viele. Ich finde das langweilig. Wenn ich schon eine Ausstellung mache, will ich variantenreiche Kalligraphien schaffen, viele spannende Dinge mit den Texten oder den Gedichten anstellen, aber das braucht Zeit. Für eine Zeile kann man Wochen brauchen. Obwohl ich Lust hätte, etwas in der Art zu kalligraphieren, kann ich im Moment leider keine Zeit erübrigen. Bis ich eine Einzelausstellung veranstalte, wird es also noch eine Weile dauern. 

F: Wie denken Sie über die kalligraphischen Vereine?

H: Seit letztem Jahr weht ein frischer Wind durch die Kalligraphie-Vereine, schlechte Gepflogenheiten und alte Konventionen, wie sie besonders in der Nitten dieses Jahr auffielen , sollen abgeschafft werden, wir müssen ein Metier schaffen, das jeder akzeptabel findet. Konkret geht es darum, dass es einige Fälle gab, in denen hochstehende Meister alles bestimmt haben. Ich denke, das sollte nicht so sein. Jeder einzelne schafft seine kalligraphischen Werke nach seiner persönlichen Vorstellungen, also müssen wir jeden Einzelnen wichtig nehmen. In letzter Zeit geht die Stimmung etwas mehr in diese Richtung. Ich denke, das ist etwas gutes.

F: Wie würden Sie Ihre pädagogische Methode beschreiben?

H: Es gibt ganz verschiedene Methoden, das Kalligraphieren zu erlernen. Grundsätzlich fange ich damit an, dass ich meinen Schülern erst einmal eine Schreibvorlage gebe, und lasse sie diese dann kopieren. Das ist natürlich nicht das Ziel. Während sie diese Übung fortführen, lasse ich sie auch frei schreiben. Dann hängen wir das Geschriebene an der Wand auf, und ich kommentiere es. Das ist meine Art zu unterrichten. Wenn einer gar nichts kann und ich dann seine Kalligraphie bewerten sollte, wäre das unsinnig. Es ist wie beim Sprachenlernen. Zunächst muss man mit dem genauen Nachahmen des Lehrers anfangen. Im Japanischen haben die Worte für „Lernen“ und „Nachahmen“ die gleiche Wurzel, nachahmen und lernen bedeuten dasselbe (orig. "manabu" 学ぶ und "maneru" まねる). Das nachahmen führt also zu erlernen. Aber man darf nicht beim bloßen Nachahmen stehenbleiben.

F: Was denken Sie über die kalligraphische Szene in Kyōto?

H: In der Kyōtoer Kalligraphieszene bestimmten die hochstehendsten Meister, diese Situation habe ich vorher schon einmal angesprochen. In letzter Zeit hat sich die Stimmung so gewandelt, dass alle frei sprechen können. Erst gestern war ich auf einer Versammlung, auf der ein Vorschlag von mir angenommen worden ist. Eigentlich melde ich mich ja selten zu Wort. Es ging um die Ausstellung im Kaufhaus Daimaru in Kyōto, falls Sie Interesse habe, schauen Sie es sich doch einmal an.

F: Wie sehen Sie die Stellung der Kalligraphie im Japan der Gegenwart?

H: Die Stellung der Kalligraphie ist nach und nach gesunken. Bis vor etwa 20, 30 Jahren fingen viele Leute mit der Kalligraphie an, weil sie schöne Briefe schreiben wollten. Heute schreibt man Briefe kaum noch von Hand. Man schickt eine SMS oder eine Mail, ich nehme mich da nicht aus. Es gibt als nur noch wenige Situationen, in denen es einem peinlich wäre, nicht mehr von Hand schreiben zu können. Weil heute weniger Menschen die Schönschrift erlernen, ist es dazu gekommen, dass viele sich beim Anblick einer Kalligraphie kaum mehr überlegen, ob sie sie gut oder schlecht finden. Dennoch hat die Kalligraphie immer noch die Kraft, die Menschen in besonderen Momenten für sich einzunehmen, Japaner genauso wie Ausländer. Auch wenn sie nicht mehr so weit verbreitet ist, fühlen wir doch noch etwas beim Anblick einer Kalligraphie.

F: Was macht die Faszination der Kalligraphie für Sie aus?

H: Da gibt es ganz unterschiedliche Dinge. An erster Stelle steht, dass die Person an sich in der Kalligraphie erscheint. Man sagt, die Persönlichkeit spiegele sich in der Kalligraphie. Wenn man eine Kalligraphie betrachtet, spürt man etwas von der Persönlichkeit des Menschen dahinter, man betrachtet also schließlich eine Person. 

F: Haben Sie auch schon einmal erlebt, dass diese Erwartung an die Kalligraphie enttäuscht wurde?

H: Ja, ich denke schon. Wenn sich die Leute meine Werke ansehen, ist es zum Teil sicherlich so, dass die Leute sich irgendwelche Charakterzüge einbilden. Ich selbst denke mir manchmal beim Anblick meiner Werke in einer Ausstellung, was das wohl für ein schüchterner Typ ist. Der sollte beherzter schreiben. Vielleicht sehen die Leute mich schlussendlich so. Dass auch solche Züge der Persönlichkeit in der Kalligraphie hervorkommen ist ein interessanter Punkt. 

F: Wie sehen Sie die Zukunft der Kalligraphie?

H: Es wird wahrscheinlich schwer werden für die Kalligraphie. Wie ich vorher bereits sagte, kommen immer weniger Menschen mit der Kalligraphie in Berührung. Wir haben jetzt in der kalligraphischen Szene Unterschriften gesammelt , um beim Kulturministerium um eine Erhöhung der Unterrichtsstunden für Schönschreiben in der Grundschule zu bitten. Das Ziel war es, 500.000 Unterschriften zu sammeln, aber schlussendlich wurden es 950.000. Als Kind einmal mit dem Pinsel in Berührung zu kommen ist Teil der japanischen Kultur, und ich denke es ist sehr wichtig, das zu bewahren. Wenn man einmal als Kind einen Pinsel berührt hat, bleibt einem die Kalligraphie als Kultur erhalten, auch wenn sie aus dem Alltagsleben verschwindet. Wenn die Kinder niemals einen Pinsel berührten, dann wird die Kalligraphie verschwunden sein, wenn sie alt geworden sind. Die Frage, welche Rolle die Kalligraphie in der Erziehung spielt, halte ich für bedeutsam.

F: Abschließend möchte ich Ihnen noch einige persönliche Fragen stellen. Haben Sie Familie?

H: Ja, ich habe eine Frau und eine Tochter. 

F: Haben Sie einen Lieblingsautor?

H: Ich mag eher leicht verständliche Erzählungen. Ich mochte Shiina Makoto sehr gern.

F: Was sind Ihre Hobbys?

H: Ich habe eigentlich keine Hobbys, und bin auch kein guter Sportler. Ich hatte vorher bereits erwähnt dass ich technikbegeistert bin, Computer, Handys und Tablet-PCs gefallen mir. Früher habe ich auch gerne Filme gesehen, aber dafür habe ich jetzt keine Zeit mehr. Ich bin eher der Indoor-Typ.



F: Vielen Dank für das Gespräch.


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▲ (Zurück) Der Shimogamo-Schrein befindet sich nördlich des Kyōtoer Kaiserpalastes. Der Schrein ist einer der ältesten Kyōtos und Japans. Berühmt ist er für das Aoi-Matsuri, das dort und im Kamigamo-Schrein, seinem Gegenpart, stattfindet.


Demachi 出町 ist eine alte Bezeichnung für ein Gebiet am westlichen Ufer des Kamogawa, im heutigen Kamigyōku. Heute ist der Name beinahe nur noch im Namen des Bahnhofs Demachi-Yanagi gebräuchlich. Yanagi ist der alte Name für die Umgebung des Bahnhofs auf der Demachi gegenüberliegenden Uferseite.
Lage des Bahnhofs Demachi-Yanagi in Kyōto


Der alte Kaiserpalast , (jap. (Kyōto) Gosho, (京都)御所) befindet sich direkt unter der Dōshisha-Universität. Seit Kyōto 794 zur Hauptstadt wurde, war dort stets der Kaiserpalast, bis zum endgültigen Umzug des Hofes nach Tōkyō 1868 (eine Ausnahme bildet das kurze Schisma des Kaiserhofs). Der Palast wechselte in seiner Geschichte mehrmals den Ort. Die heute bestehende Anlage befindet sich auf dem Gebiet des Palastes im 14. Jahrhundert, neben dem mit einer Mauer umschlossenen inneren Palastbezirk (Dairi) umfaßt sie eine Parkanlage mit großzügigen Kieswegen.
Links: Der Shishinden, früher ein Palastgebäude für Zeremonien und andere öffentliche Angelegenheiten, im inneren Palastbezirk



Der Kamogawa (鴨川/加茂川) im Osten Kyōtos ist der größte Fluss der Stadt. Der Fluss ist ein bedeutender Erholungsraum für viele Kyōtoer. Seit dem 19. Jahrhundert wird der Flussname bei gleicher Aussprache unterschiedlich geschrieben, je nach dem ob man sich auf den Kamogawa vor dem Zusammenfluss mit dem Takanogawa (bei Demachi-Yanagi) oder danach bezieht.
Links: der Kamogawa beim Viertel Ponto-chō.



Der Berg Hiei (比叡山) befindet sich zwischen den Präfekturen Kyōto und Shiga. Er ist 838m hoch. Es existieren Seilbahnen auf beiden Seiten des Berges bis zur Spitze, von wo aus man den Biwa-See betrachten kann. Berühmt ist der Berg für den Enryakuji, einen Tempelkomplex, der sich dort befindet. 



Shōchū (焼酎) ist ein japanischer Schnaps. Er wird aus Reis, Gerste, Süsskartoffeln u.a. gewonnen. Bei der Fermentierung kommt das in Ostasien vielfältig verwendete Kōji zum Einsatz.


Takara-Shuzō (宝酒造) ist ein japanischer Alkoholhersteller und -händler mit einer weiten Produktpalette von Sake bis Whisky. Die Firma ist Teil der Takara-Holding, die in einer Vielzahl von Geschäftsfeldern tätig ist.
Offizielle Website


Die Dōshisha-Universität ist eine Universität in Kyōto, nördlich der kaiserlichen Gärten gelegen. Gegründet wurde sie 1875 von Jō Niijima, einem der "Sechs Großen Pädagogen der Meiji-Zeit" (明治六大教育家). Die Dōshisha ist eine der renommiertesten privaten Universitäten Japans. http://www.doshisha.ac.jp


Shūji (習字, das „Lernen der Zeichen“) bezeichnet im Japanischen etwa „das Schönschreiben“ als Übung für den Laien, während Shodō (書道, der Weg des Schreibens) oder kurz Sho (書, das Schreiben) die Schrift als Kunstgattung meint.



Gohō Hibino, jap. 日比野五鳳
1901-1985
Einer der bedeutendsten Kalligraphen der Shōwa-Zeit(1926-1989). 1912 zieht Hibino nach Kyōto. Ab 1948 widmete er sich ganz der Kalligraphie. Hibino war in der Kana-Kalligraphie tonangebend.
Gedenkmuseum in der Präfektur Gifu


Unter dem Namen Reizeike (冷泉家) ist die Adelsfamilie Reizei bekannt. Der Wohnsitz der Familie (冷泉家住宅) ist ein staatliche designiertes Kulturerbe und einer der letzten erhaltenen Kyōtoer Adelssitze.
Links: Der Eingang zur Residenz der Familie Reizei, im Hintergrund die Dōshisha Universität.



Waka
Die Dichtung war und ist in Japan ein integraler Bestandteil der höfischen Kultur. Besonders das japanische Gedicht (im Gegensatz zur aus China überlieferten Lyrik, Kanshi) genoß seit der späten Heian-Zeit, dem Zeitalter er literarischen Klassik in Japan, einen hohen Stellenwert. Diese japanischen Lyrik bezeichnet man mit dem Oberbegriff „Waka“. Auch die Reizei-Familie (s.o.) überliefert bis heute einen der traditionellen Stile des Waka, die am Kaiserhof gepflegt wurden. Die ältesten Texte der Kana-Kalligraphie sind Waka, und sie stellen auch heute noch das klassische Textmaterial dieses Genres dar.


Kanji - Kana
Die Kanji, chinesische Schriftzeichen, sind die Eltern der Kana-Lautschrift, die sich aus extrem verkürzten Varianten der Konzeptschrift entwickelte. In der japanischen Kalligraphie stellen diese beiden Genres die gröbste Unterteilung dar. Die Mischform (Chōwatai) spiegelt das geschrieben Japanisch der Gegenwart wieder, in dem Kanji und Kana nebeneinander genutzt werden. Sie stellt die dritte große Kategorie dar.


Kōyagire ist die Bezeichnung für Ausschnitte aus der ältesten noch existierenden Abschrift des Kokinwakashū, einer japanischen Gedichtsammlung aus dem 11. nachchristlichen Jahrhundert. Der größte Teil des Werks befand sich seit dem Mittelalter im Besitz des buddhistischen Tempels auf dem Berg Kōya. Daher leitet sich sein Name ab. Ursprünglich bestand das Werk aus 20 Bänden, die dann geteilt wurden und in verschiedene Sammlungen gelangten. Daher auch der Zusatz „gire“ (kire, 切), der einzelne Schriftstücke bezeichnet, die aus einem größeren Gesamtwerk entnommen wurden (jap. kiru, schneiden). Im Kōyagire fallen der heianzeitliche Höhepunkt der Waka-Dichtung und der Kana-Kalligraphie zusammen.
Links: die ersten Zeilen des Kōyagire.



Die Kalligraphien der Sunshōan-Shikishi 寸松庵色紙 gehören zu den drei berühmten Shikishi der Heian-Zeit (die beiden anderen sind die Masu-Shikishi 升色紙 und die Tsugi-Shikishi 継色紙). "Shikishi" bezeichnet eigentlich allgemein "Japanpapier", in der Kalligraphie meint man damit häufig ein auf jeder Seite 10-40 cm langes Quadrat, auf dem ein einzelnes Gedicht in Kana-Schriftzeichen steht. Diese Kalligraphien wurden dann auf Wandschirme oder in Alben geklebt. Es existiert also nicht ein Sunshōan-Shikishi, vielmehr bezeichnet man damit alle Ausschnitte aus dem zugrunde liegenden Werk (im japanischen kann das Nomen „Shikishi“ sowohl den Singular als auch den Plural bezeichnen). Wie dem Kōyagire liegen auch dem Sunshōan-Shikishi Gedichte aus der Gedichtsammlung Kokin-Wakashū zugrunde. Der Name Sunshōan-Shikishi leitet sich von der Hütte des Teeemeister Sakuma Sanekatsu, einem berühmten Besitzer des Werks.
Links: Eine Kalligraphie der Sunshōan-Shikishi



Saigyō war ein berühmter Dichter des 12. Jahrhunderts. Seine Werke wurden in großer Zahl in das Shin-Kokin-Wakashū, die Nachfolgeanthologie des Kokin-Wakashū, aufgenommen. Bis auf den heutigen Tag ist er in Japan einer der populärsten Poeten.


Japanische Ausstellung für Bildende Künste
jap. Nihon Bijutsu Tenrankai 日本美術展覧会, kurz Nitten 日展
Die Ausstellung wurde 1926 begründet, Kalligraphie ist seit 1946 als eigene Kategorie vertreten. Der Anspruch ist es, die japanische Kunst in ihrer ganzen Breite zu präsentieren. Es existieren die fünf Kategorien japanische Malerei, westliche Malerei, Skulptur, Kunsthandwerk und Kalligraphie. Erst vor kurzem musste sich die Sektion für Kalligraphie dem Vorwurf unfairer Auswahlkriterien und der Bevorzugung einzelner kalligraphischer Schulen stellen.


Kalligraphie-Performance
bezeichnet die Inszenierung von Kalligraphie als Show. Zumeist nehmen mehrere Personen teil und schreiben auf ein Papier von mehreren Meter Länge, im Hintergrund spielt Musik, die den Rhythmus der Kalligraphie bestimmt.
Kalligraphie-Performance der Mishima High School (Präfektur Ehime) auf dem "Kōshien der Kalligraphie-Performances 2013" 
Website des "Kōshien der Kalligraphie-Performances"
(Anmerkung: Der "Kōshien" ist der wichtigste Wettbewerb im japanischen Oberschul-Baseball (High School Baseball). Diese Bezeichnung verwenden daher viele der großen Wettbewerbe für Oberschüler)


Die Matsuyama High School für Mädchen befindet sich in der Präfektur Saitama (Lage der Präfektur Saitama) nahe Tōkyō. Der dortige Kalligraphie-Klub errang mehrmals den landesweiten Gruppensieg in der Kalligraphieausstellung der japanischen High Schools (dem Sho no Kōshien (=Kōshien der Kalligraphie), angelehnt an die Baseball-Meisterschaft der High Schools, den Kōshien). Die Betreuerin, Yūko Ishihara, veranstaltet mit dem Klub häufig Performances, auch in anderen Präfekturen. So war der Club im Sommer 2014 in der Präfektur Miyagi, die von der Dreifach-Katastrophe im Jahr 2011 getroffen worden war, und veranstaltete dort mehrere Performances, auch unter Mitwirkung der Einheimischen.
Twitter-Account des Kalligraphie-Klubs mit Videos vergangener Performances und offizielle Website der Schule


Als Nitten-Skandal (日展スキャンダル) bezeichnet man einen Skandal im Jahr 2009 bei der 40. Japanischen Ausstellung für Bildende Künste (kurz: Nitten). In der Sektion für Kalligraphie (in der Unterabteilung für Siegelschrift) wurden Unregelmäßigkeiten durch die Zeitung Asahi aufgedeckt. Die etablierten Schulen hatten Absprachen über die Auswahl von Werken ihrer Mitglieder zur Ausstellung getroffen. Die fortgesetzte Berichterstattung der Medien führte im Jahr 2014 zum Rücktritt mehrerer Mitglieder der Jury.


Ausstellungen in Kaufhäusern sind in Japan häufig anzutreffen. Die meisten großen Kaufhäuser haben eine Galerie oder auch ein ganzes Stockwerk, das Ausstellungen gewidmet ist. In Kyōto bzw. Osaka finden in den beiden großen, traditionellen Kaufhäusern Takashimaya und Daimaru regelmäßig auch kalligraphische Ausstellungen statt.
Veranstaltungskalender von Daimaru und Takashimaya in Kyōto.


Persönlichkeit und Kalligraphie werden schon in frühen chinesischen Kalligraphie-Theorien miteinander in Verbindung gebracht. Heute ist in Japan v.a. die Formulierung „書は人なり“ gebräuchlich, deren Herkunft allerdings unklar ist.
Beitrag im Blog der Forscher am Nationalmuseum in Tōkyō, der auch die ironische Seite des Spruchs beleuchtet.


Unterschriftenaktionen für mehr Stunden in Schreibunterricht mit dem Pinsel (jp. 毛筆書写) gibt es recht häufig in Japan. Die Forderungen sind meistens allgemein gehalten und eher als Ermahnung an das Kultusministerium zu verstehen, so werden etwa keine konkreten Stundenzahlen o.ä. angeführt. Japanischlehrer an Grund- und Mittelschulen müssen an der Universität auch einen Schein in Kalligraphie erwerben, somit also in der Lage sein, grundlegende Anleitung in dem Fach zu geben. In der Grundschule sind in den ersten beiden Jahren mindestens 30 Stunden Kalligraphieunterricht im Jahr vorgesehen.
Bericht über die Unterschriftenaktion auf der Seite des Kalligraphievereins Sōgen-sha (創玄社).
Anzahl der vorgesehenen Kalligraphiestunden, Bekanntmachung des japanischen Kultusministeriums.


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